Saigon

 Saigon ist nach Phnom Penh eine Erleichterung. Zwar brummt und wuselt diese Stadt auch rund um die Uhr, doch wirkt sie geräumiger, luftiger, leichter.

Unsere Unterkunft ist in der Nähe eines Stückes Grünstreifen, „Park“ wage ich es nicht zu nennen. Entlang der Wege stehen Fitnessgeräte, die von Jung und Alt genutzt werden. Selbst im Anzug steigen manche Männer zwischendurch auf den Hometrainer und radeln 10 Minuten, bevor sie weiter zur Arbeit gehen. Manche Geräte stehen so hoch im Kurs, dass sich kleine Warteschlangen bilden. Zu allen Zeiten ist hier Betrieb, eine kleine Oase in all dem Trubel, die ausgiebig genutzt wird, auch von uns.

Vormittags üben verschiedene Schulklassen dort in Reih und Glied zu stehen und ordentlich zu marschieren. Zur Formation gehört noch eine meist schmerzhaft klingende Kapelle mit Blechbläsern und Trommeln und eine Gruppe Mädchen, die mit ihren Pompons herumspringen.

Angeleitet wird das ganze Szenario von drei Lehrern und einer älteren Schülerin, die die Befehle ruft, alles kontrolliert und korrigiert. Für mich sehr befremdlich, diese kleinen Menschen in ihren Schuluniformen marschieren zu sehen.

 

Nachmittags und Abends füllen sich die freien Flächen mit lauter Sportbegeisterten. Es wird ausgiebig Badminton und Fußball gespielt, Rad gefahren, gejoggt oder motiviert gegangen, eine Fitnessgruppe startet ihre Musikanlage und bietet Aerobic zum Mitmachen an, auch eine Kampfsportgruppe hat ihr Training hier in den Park verlegt.  

 

Lange sind wir nicht in Saigon, zuviel Stadt hatten wir die letzte Zeit. Trotzdem gefällt es uns so gut hier, dass wir neugierig sind, was die Stadt uns zu erzählen und zu zeigen hat.

 

Das Hauptpostamt besuchen wir, um unser erstes Paket, gefüllt mit jeder Menge Kampot-Pfeffer, nach Hause zu schicken. Dieses im Jahr 1891 fertig gestellte Gebäude ist eine helle Freude. Von außen hat es mit seinen beiden Flügeln eine beeindruckende Größe. Die großzügige Bauweise und Höhe, die Säulen im Inneren, kombiniert mit dem Tonnengewölbe, das den Besucher ganz von selbst in das Gebäude hinein und den Blick sofort in die Höhe zieht, ist fantastisch. Der ganze Innenraum ist hell und trotz all der Besucher hier, die – nach wie vor – ihre Post verschicken, bleibt der Raum weitläufig. Von hinten an der Wand sieht ein Bildnis von Ho Chi Minh auf uns alle herab. Der gute „Onkel Ho“, wie er in Vietnam auch genannt wird.

 

Direkt neben dem Hauptpostamt steht die Kathedrale Notre Dame, die Ende des 19. Jahrhunderts erbaut wurde mit Materialen, die anscheinend zum größten Teil aus Frankreich importiert wurden.

Leider können wir den Innenraum nicht besichtigen, weil sie geschlossen ist, aber von außen sieht sie aus, als wäre sie aus einer anderen Welt hierher versetzt. So ist es ja auch. Ein Stück Frankreich mitten in Vietnam.

Vor der Kirche steht eine Statue der Jungfrau Maria, die in den 60er Jahren aus italienischem Marmor gefertigt und nach Saigon gebracht wurde. Sie sollte dem Land Frieden bringen.

 

2005 ging das Gerücht um, die Statue hätte mehrere Tage geweint. Zwar wurde diese Geschichte nie von der Kirche bestätigt, trotzdem steigerte sich das Interesse an der Figur seither enorm.

 

Hier in Saigon nutze ich die Gelegenheit und besuche mit den Kindern eine Vorstellung im Wasserpuppentheater „Rong Vang“.

 

Das Wasserpuppenspiel ist eine alte Tradition in Vietnam, angeblich schon an die tausend Jahre alt. Früher haben die Menschen auf diese Art Geschichten ihres Alltags, wie den Reisanbau, die Feldarbeit und das Fischen, aber auch ihre Legenden weiter erzählt. Dazu standen die Puppenspieler zum Beispiel im Dorfteich und ließen ihrer Puppen über der Wasseroberfläche tanzen. Um nicht auszukühlen, haben sie wohl Fischsauce getrunken, die sie von innen gewärmt hat, so erklärt es eine Reiseleiterin ihrer Gruppe, die gerade aus dem Theater kommt und anschließend von einer Gruppe Cyclo-Fahrern abgeholt und durch die Stadt kutschiert wird.  

 

Nach wie vor stehen die Puppenspieler mehrere Stunden am Tag im Wasser, aber nun mit wasserdichter Kleidung. Während andere Theater im Land neue und moderne Vorstellungen darbieten, bleibt „Rong Vang“ dem traditionellen Wasserpuppentheater treu.

 

Die Bühne besteht aus einem mit Wasser gefüllten Becken, auf dem ein Häuschen mit Bambusvorhang „steht“. Links und rechts von der Bühne sitzen die Musiker, die mit traditionellen Instrumenten die Vorstellung begleiten und den Holzpuppen ihre Stimmen leihen.

 

Die Vorstellung beginnt. Nacheinander erzählen sie uns, gemeinsam mit den Musikern, Geschichten aus dem Leben der Bauern und Fischer, wir sehen einen Drachentanz, ein Fuchsjagd, ein verliebtes Phönix-Paar. Die Puppen springen, tanzen, jagen, fliegen in einer Harmonie miteinander, und so tun es wohl auch die Puppenspieler hinter den Kulissen. Die Musik ist fremdartig, es ist laut und ungewohnt, und es zieht uns in kürzester Zeit in seinen Bann. Was lachen viel, werden nass – wir sitzen in der ersten Reihe -, lachen noch mehr, und ich staune über die Leichtigkeit, mit der die Spieler hinter dem Vorhang diesen Puppen aus Holz Leben und Leichtigkeit einhauchen.

 

Nach der Vorstellung kommen die Puppenspieler hinter dem Vorhang hervor, alle eingepackt in wasserfester Kleidung, trotzdem nass von ihrem Spiel, aber mit glücklichen und strahlenden Gesichtern.

So wie wir.

 

Mach Dir gerne ein eigenes Bild in den „Drei Minuten“.

 

Auch hier besuchen wir wieder ein kleines Projekt in Form eines Restaurants, das Huong Lai.

Die Jugendlichen, die hier bedienen und ein Teil des Küchenpersonals sind ehemalige Straßenkinder, Waisenkinder und Kinder aus sehr armen Familien.

Durch diese Grundausbildung im Restaurant-Betrieb sollen sie die Chance erhalten, ihr Leben durch ihre eigene Arbeit zu verändern und verbessern und geregelte Abläufe zu erlernen.

 

 

Das Restaurant sieht von außen sehr einladend aus, im Innern ist es geschmackvoll eingerichtet. Der Besitzer legt großen Wert darauf, dass die Jugendlichen alles mit Sorgfalt ausführen. Der Tisch ist schön gedeckt, es geht ruhig und geordnet zu. Auch das Essen ist außerordentlich fein gewürzt und mit Liebe gekocht.

Wir fühlen uns rundum wohl.

 

Mit diesem Hintergrundwissen über diese Jugendlichen frage ich mich, welche Geschichten sie wohl schon durchlebt haben, während ich sie bei ihren Arbeiten beobachte. Und auch, wie anstrengend es wohl für sie ist, aus diesem ungeregelten Für-das-Nötigste-Sorgen und In-den-Tag-hinein-Leben in eine so strukturierte und auf Sorgfalt achtende Rolle zu wechseln. Leicht stelle ich mir das nicht vor. Auch sie dahin zu begleiten, anzulernen und so gut auszubilden, dass sie auf ein gutes Rüstzeug zurückgreifen können, sehe ich als große Herausforderung.

Aber wenn es gelingt - und so wirkt es auf mich eindeutig - haben diese jungen Menschen eine ganz andere Zukunft vor sich. Ein kleines Projekt mit großer Wirkung.

Mit diesem Wissen schmeckt das Essen gleich nochmal so gut!



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