Griechenland

Diesem Land in nur einem Eintrag gerecht zu werden ist unmöglich, ist Griechenland doch so vielfältig, reizvoll und wunderschön.

Trotzdem werde ich dieses Unding wagen, damit die Blog-Einträge wieder aktueller werden und ich meinen Rückstand aufhole.

 

Als wir die Grenze zu Griechenland passieren, ist ein großes Stück Abschiedsschmerz mit im Gepäck, so beeindruckt und berührt hat mich Albanien mit den Eindrücken und Erfahrungen, die wir dort gesammelt haben. Und doch freue ich mich sehr, endlich einmal wieder in Griechenland zu sein.

Vor 20 Jahren führte mich meine erste selbstständige Reise in dieses Land, das mir anfangs furchtbar karg erschien und mich schließlich so sehr in seinen Bann schlug, dass ich im Jahr darauf gleich wieder dorthin fuhr.

Von dieser ersten Reise brachte ich auch zusammen mit zwei Freundinnen unseren ersten Hund mit seinen zwei Jungen mit, den ich auf Kreta entdeckte - an einen Baum gebunden, mit aufgeriebenem Hals, kaum Fell, abgemagert und blutig. Sie setzte sich auf meinen Schoß und ließ sich nicht mehr vertreiben. Also nahmen wir sie mit.

Eine leichte Parallele zu unserem jetzigen Hunde-Projekt.

 

Nun ist eine so lange Zeit vergangen. Trotzdem fühlt sich nach kurzer Zeit alles wieder irgendwie vertraut an, obwohl die Gegenden, die wir dieses Mal durchqueren größtenteils auch Neuland für mich sind.

Bekannt ist die Freundlichkeit und Gastfreundschaft.

Überraschend ist die Kälte.

Es ist Winter in Griechenland, was wir im Laufe der Tage noch deutlich zu spüren bekommen werden.

 

Unseren ersten Stop legen wir in Igoumenitsa ein. Durch unseren Familienzuwachs sind unsere Möglichkeiten eingeschränkter, wir haben Aufgaben und müssen die Rückfahrt der Tiere vorbereiten. Sayda und Amino benötigen Impfungen und ihren europäischen Tierausweis, damit sie die Grenzen überhaupt passieren dürfen.

Wir landen bei einem sehr freundlichen und kompetenten Tierarzt, der alles Nötige erledigt, damit meine Mutter die Beiden schließlich mit nach Hause nehmen kann. 

Etwas außerhalb der Stadt liegt der Campingplatz, auf dem wir die einzigen Gäste sind. Den Strand teilen wir uns mit Joggern, Spaziergängern und einigen hart gesottenen Schwimmern, zu denen ich dieses Mal nicht zähle.

 

Über Preveza geht es weiter nach Patras. Morgens frühstücken wir in einem kleinen Imbiss an der Straße, der von einer polnischen Frau geführt wird. Sie ist schon seit über 10 Jahren hier, versucht uns zu überreden, hinein in die Wärme zu kommen, auch mit den Hunden, sie liebe Hunde, wir seien herzlich willkommen. 

 

Aber unsere Hunde lernen erst, dass sie sich an einem Ort wie diesem aufhalten dürfen. Sie sind verunsichert, haben noch Angst vor Innenräumen. Haben Angst davor, vertrieben oder geschlagen zu werden. 

Abgesehen davon ist die kleine Bude hochgradig verräuchert, das Atmen fällt schwer, sodass auch wir die Kälte vorziehen. Sie versorgt uns mit einem riesigen Berg Sandwiches, Kaffee und Kakao, freut sich sehr über den Appetit der Kinder und über die Hunde. Und wir freuen uns über sie und ihr kleines Reich.

 

Auch Patras bleibt eine Durchgangsstation, wir wollen weiter zu unserer Weihnachts-Heimat. Dort werden wir Heiligabend verbringen, einige Tage Ruhe einkehren lassen, uns ein wenig sortieren und auch schon langsam vorbereiten auf den zweiten Teil der Reise - ohne Bus, ohne Hunde, ohne Europa, dafür mit Rucksack.

In Egio mieten wir eine Wohnung, kochen ausgiebig, gehen spazieren, entspannen uns im Garten, ernten die Orangen für unseren Saft direkt vom Baum im Garten - Weihnachten.

 

Die Spaziergänge werden allerdings gestört von unzähligen Wachhunden, die in fast jedem Haus zu finden sind und hochgradig aggressiv auf unsere Vierbeiner reagieren. Nicht nur einmal bewaffnen wir uns mit Steinen und Stöcken, um uns zur Wehr setzen zu können, sollten diese sich befreien können.

 

Am Strand angekommen, hat man einen sehr schönen Blick über den Golf von Korinth. Auf der anderen Seite sehen wir die verschneiten Gipfel der Berge. Also so etwas wie weiße Weihnacht, im Gegensatz zu Deutschland, wo der Schnee erst später, dafür aber umso heftiger kommen wird.

 

Und wie ist Weihnachten fernab von Zuhause?

Zum Einen gab es keinerlei Vorweihnachtsstress, eine Erfahrung, die ich auf jeden Fall nächstes Jahr wiederholen möchte.

Wir haben wenig geschmückt. Ab Albanien haben wir beobachtet, wie die Leute anfingen, mehr oder weniger Weihnachtsdekoration anzubringen. Fiel sie in Albanien noch meist recht spartanisch aus, wurde sie in Griechenland schon pompöser und aufdringlicher. 

Es gab keine Lebkuchen, was für die Kinder ein wenig hart war.

Die ganzen Termine, die sich zu Weihnachten häufen, fielen weg.

Es war tagsüber warm, wir konnten den Tag im Garten verbringen - im T-Shirt.

 

 

Am letzten Morgen, bevor wir wieder abfahren, ruft uns unser wirklich sehr netter Vermieter. Wir sollen mit ihm zu seinem Nachbarn kommen, der uns unbedingt etwas zeigen möchte. Die Männer lächeln geheimnisvoll, während sie uns in eine Art großen Abstellraum schieben. Zuerst verstehen wir gar nichts.

Bis sich plötzlich in der hinteren Ecke etwas am Boden bewegt - eine Eule!

Sie sitzt da, mit ihren riesigen bernsteinfarbenen Augen und macht mit ihrem Schnabel nervöse, ängstliche Klack-Geräusche.

Die Männer haben sie nachts verletzt auf der Straße gefunden und mit nach Hause gebracht, weil sie nicht mehr fliegen konnte. Nun versuchen sie, jemanden zu finden - Tierarzt, Tierschutzorganisation - der die Eule abholt und wieder gesund pflegt.

Der Nachbar ist sehr stolz auf seinen Fund und möchte sie uns genauer zeigen, zu unserem und vor allem zum Leidwesen der armen Eule, die er nun an den Flügeln packt und diese auseinander zieht, damit wir die Spannweite bewundern können. Sie beginnt wieder nervös mit dem Schnabel zu klacken. Wir ziehen uns zurück, ich verzichte darauf, Fotos zu machen, um die Eule nicht noch weiterem Stress und unnötigen Schmerzen auszusetzen. 

Also entlässt er sie wieder in ihre Ecke - ein beeindruckendes Tier. Sie zu Gesicht zu bekommen ist eine Art Abschiedsgeschenk.

 

Dann packen wir unsere Siebensachen und verabschieden uns.

Unsere Fahrt geht weiter.

 

Keratea - ein Ort südlich von Athen - wird für uns eine Erholungsphase ohne Kinder, die ganz im Süden von Attika ihre "Papa-Zeit" am Meer verbringen.

Der Winter kommt, es schneit ab und zu, wir sehen schneebedeckte Berge hinter am Horizont. Alle versichern uns, dass es seit Jahrzehnten nicht mehr so kalt war.

Trotzdem gehe ich hier wieder schwimmen und es ist wunderbar. Das Wasser ist kalt, klar, erfrischend. 

Unsere Vermieter, bei denen wir uns eingemietet haben, sind sehr nett, die Wohnung ist toll, die Umgebung ruhig. Ideal für uns und unsere Vierbeiner. Inzwischen ist sehr deutlich, dass unser Gemeischaftsprojekt sich vergrößert hat. Sayda ist schwanger, wird immer dicker. 

Das macht sowohl die Planung als auch die Herausforderung um vieles schwerer. Wann die Jungen kommen, wissen wir nicht, wir rechnen jeden Tag damit, aber bis zu unserer Abreise bleibt es ruhig.

 

Meine Mutter wird nach unserer gemeinsamen Zeit in Athen noch einmal hierher kommen, damit Sayda in aller Ruhe ihre Jungen zur Welt bringen kann in einem geschützten Raum, und genau das wird sie auch tun. Sieben Welpen werden bei Jorgos und Bea auf die Welt kommen. Ohne ihre Unterstützung und Bereitschaft, die Geburt bei ihnen möglich zu machen, wäre es sehr schwierig geworden.

Diese Hilfsbereitschaft und Offenheit macht mich sehr dankbar.

 

Auf Grund der unerwarteten Wendung der Situation wird natürlich auch die Rückfahrt für meine Mutter zu einer ganz anderen Herausforderung. Und auch ihr Mut und ihre große Unterstützung beeindrucken mich tief. Wie viele Menschen würden solch eine Aktion mitmachen???

 

Aber zuvor verbringen wir einige Tage gemeinsam mit ihr in Athen. Die Kinder freuen sich sehr an ihrer Oma, gleichzeitig haben die Hunde Zeit, ihr neues Familienmitglied kennen zu lernen, das sie das nächste halbe Jahr in Obhut nehmen wird und vor allem die Geburt und Versorgung der Jungen übernehmen wird, die so unerwartet mit auf unsere Reise gekommen sind.

 

In den ersten Tagen ist es kalt, kalt, kalt. Auf der Akropolis liegt Schnee. Schnee in den Straßen, verschneite Autos, 

und das in Griechenland. Es ist sogar in den Nachrichten, die wir regelmäßig verfolgen, um nicht ganz den Anschluss an das Weltgeschehen zu verlieren.

 

In  vielen Häusern gibt es gar keine Heizung, weil es in normalen Wintern nicht nötig ist. Unsere Vermieterin bekommt in den Supermärkten keine elektrischen Heizkörper mehr, wir halten uns mit zwei Heizlüftern halbwegs warm. Der Spuk dauert nur einige Tage, dann wird es wieder erträglich.

 

Am ersten Morgen entdecken wir unseren Lieblingsbäcker, den wir täglich besuchen, um unser Frühstück zu besorgen - Sesamringe, Feta-Taschen, Mini-Croissants, Olivenbrötchen. 

 

Die Zeit in Athen verfliegt, unser Abflug steht bevor und damit das Ende unserer Europa-Reise.

Wir verabschieden uns.

Von unserem Bus, von meiner Mutter, von den Hunden, von der bisherigen Art zu reisen.

 

Mit kleinen Unregelmäßigkeiten beginnt unsere Reise nach Asien. Unser Flug wird umgebucht. Statt über Moskau, fliegen wir nun spätabends über Istanbul, dürfen uns noch im Flughafenhotel einnisten, um die Zeit bis zum Abflug zu überbrücken. Wir machen das Beste daraus. Es gibt ein leckeres Mittagessen, einen kleinen Pool, eine Sauna, einen Fernseher mit KiKa - Kinderparadies.

 

Wovon ich noch nichts erzählt habe, sind die vielen kleinen Geschichten, die in dem Ganzen allzuoft untergehen.

 

Ich habe noch nicht geschrieben von den Leuten, die im Supermarkt an der Frischetheke die Käse- und Wurstreste bestellen, weil sie billiger sind, und sie sich die anderen Angebote nicht leisten können. Die Lebenshaltungskosten sind so hoch wie bei uns, einiges ist auch noch um einiges teurer, und das bei einem deutlich niedrigeren Einkommen.

 

Die Frau habe ich noch nicht erwähnt, die heilfroh ist über ihren 40-Stunden-Job in der Souvenir-Produktion, der ihr knapp 400,- Euro monatlich einbringt, und die es kaum erwarten kann, dass die Saison wieder beginnt und sie wieder arbeiten kann.

 

Ich vergesse von der Generation zu schreiben, die jetzt heranwächst und von den Eltern darauf vorbereitet wird, sich im europäischen Ausland sowohl ein Studium als auch eine Arbeit zu suchen, damit sie Zukunftschancen haben. Erwähne nicht die Angst der Griechen, damit ihre jungen Leute zu verlieren, die das Land doch dringend bräuchte, um wieder auf die Beine zu kommen.

Den Menschen geht es hier nicht besser, nur weil Griechenland nicht mehr in unseren Nachrichten vorkommt. Die Situation hat sich nicht zum Guten verändert, es ist nur nicht mehr berichtenswert. Wir haben uns daran gewöhnt, wie an so vieles andere.

 

Ich vergesse zu erzählen, dass wir kaum Flüchtlinge sehen und uns in Athen Gegenden empfohlen werden, weil es dort keine gibt. Wir sehen sie nicht, sie tauchen nicht auf, da wo wir uns bewegen. Es scheint, als gäbe es sie nicht.

Gleichzeitig sehen wir in den Nachrichten die verheerende Situation der geflüchteten Menschen, die auf den griechischen Inseln festsitzen und im Schneechaos alleine gelassen werden. 

 

Meine Mutter wird an der Fähre die Erfahrung machen, dass alle LKW-Fahrer ihre Laster aufs Genaueste untersuchen, weil sie drei Tage Haft riskieren, wenn in ihrem Wagen Menschen gefunden werden, die auf diese Weise illegal nach Italien kommen wollen.

Auch ihr wird dringend empfohlen, alles zu durchsuchen. Sie wird die Kisten auf dem Dach unseres Busse aufmachen, und sie wird auf dem Parkplatz immer wieder junge Männer sehen, die davonrennen, die in ihrem Versteck entdeckt wurden von einem der Fahrer. Von den Kontrolleuren werden die Kisten ein weiteres Mal geöffnet werden und zum Teil sogar durchwühlt werden, um sicherzugehen, dass kein Mensch sich dort versteckt hat.

Eine schockierende Erfahrung, die doch wieder deutlich macht, warum die Zahlen der Menschen weniger geworden ist, die nach Deutschland kommen. 

Das Gefühl, dass wir diese Menschen - Männer, Frauen und Kinder; Menschen, nicht Flüchtlinge!!! - wissentlich in ihrer Misere alleine lassen, weil wir als gesamtes Volk Angst vor Überfremdung und vor Verlust unseres Reichtums haben, drückt mich immer wieder. Und gleichzeitig macht sich eine große Ratlosigkeit breit. Die Frage, was ICH tun könnte, um etwas zu ändern - ich kann sie mir derzeit nicht beantworten. So wird es sicherlich vielen gehen.

 

Damit beschließe ich diesen Beitrag zu unseren Griechenland-Erfahrungen.

 



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Kommentare: 1
  • #1

    annessa (Samstag, 28 Januar 2017 23:47)

    ... und vor einer Bäckerei habe ich im Vorbeifahren ein vielleicht sechsjähriges Mädchen gesehen. Es hatte etwas zu Essen in der Hand, wahrscheinlich geschenkt bekommen, trug nur ein t-shirt, eine viel zu kurze Hose und war barfuß.
    An einem Supermarkt schob mir ein junger Mann einen Einkaufswagen zu in der Hoffnung, dass er einen kleinen Obulus erhält beim Zurückbringen.